https://www.op-marburg.de/Marburg/Dorf-in-Aufruhr-Dagobertshaeuser-klagen-ueber-Laermbelaestigung
Zoff um Landhotel in Dagobertshausen
https://www.op-marburg.de/Marburg/Zoff-um-Landhotel-in-Dagobertshausen
Nachbarn drohen der Stadt
Kleines Dorf – großer Konflikt – Hotel geplant
Aktivisten verteilen Kuchen
Zur Rolle der Stadt (dieser Aspekt blieb bei der Berichterstattung leider unberücksichtigt)
Die Stadtteilinitiative hat sich mit ihren Forderungen seit mehr als 2 Jahren vor allem auch an die Stadtverwaltung (Bauaufsicht) und den Magistrat gewendet hat. Die Zuspitzung in Dagobertshausen wird als das Ergebnis einer fehlenden, planvollen und ausgewogenen Stadtentwicklung gesehen (Stichwort Bebauungsplan).
Die
sieben Verdrehungen / Verniedlichungen des Geschäftsführers Michael Hamann (Hofgut Dagobertshausen)
1. Das auf dem ehemaligen Mengelhof geplante „Landhotel“ soll weniger als 30 Zimmer haben.
Ursprünglich wurde ein kleines Landhotel angekündigt. Nach dem Bauantrag 2019 sollen zwar „nur“ knapp 60 Betten entstehen, verschwiegen werden dabei aber die zusätzlichen 275 Konferenzplätze in diversen Konferenzräumen, das Restaurant, zwei Wintergärten etc.
2. Durch das Hotel werde die Besucherzahl nicht steigen, aber nach Hochzeiten oder Tagungen könnten künftig die Gäste vor Ort übernachten.
Diese Aussage ist erstaunlich für einen Geschäftsführer, der erhebliche Investitionen plant, denen angeblich keine wachsende Nachfrage gegenüberstehen soll. Sie steht zudem im krassen Widerspruch zur intensiven überregionalen Bewerbung und der Ausweitung von Veranstaltungsformaten.
3. „Wir bringen Lebensqualität in diese Region.“
Das mag sein, aber nicht nach Dagobertshausen! Event-Idylle in Dagobertshausens (Hofgut-Slogan) und Wohn-Idylle schließen einander aus. Zudem: Wie passt der zunehmende Individualverkehr zur Intention von MR „klimaneutral“ zu sein?
4. Wenn es sachliche Kritik gebe, suche man immer eine Lösung.
Auch diese Aussage ist erstaunlich, da sich das Hofgut der seitens der Stadt vorgeschlagenen Mediation entzogen haben soll. Im Übrigen stellt sich das Hofgut weder Kritik von Bürger*innen, noch den Kommunikationsversuchen des OBR (das lässt sich in verschiedenen Protokollen des OBR nachlesen).
5. Wenn aber die Kritiker forderten, Vila Vita solle in Dagobertshausen den Betrieb einstellen, dann könne er das nicht akzeptieren – auch mit Blick auf die 150 Mitarbeiter.
Seitens der Stadtteilinitiative war nie die Rede von einer Einstellung der Betriebe und einer Entlassung der angeblich 150 Beschäftigten. Es ging ihr immer um das Einhegen der fortgesetzten weiteren Expansion der örtlichen Freizeitindustrie. In vor _COVID Zeiten überstiegen die tatsächlichen Besucherzahlen z.T. extrem die ursprünglich angegebenen und genehmigten Besucherzahlen.
6. Zu den rd. 80.000 Besuchern in 2018: „Ich weiß nicht, wo sie diese Zahlen herhaben wollen – das ist totaler Nonsens.“
Die sorgfältig durch die Stadtteilinitiative ermittelten Zahlen stammen zu einem Gutteil vom Hofgut selbst. Viele Zahlen entsprechen den Angaben des Hofguts auf Facebook, so zum Beispiel die zu den sehr großen Veranstaltungen des Hofguts der letzten Jahre - ohne Restaurant, Reitsportanlage, mittlere und kleinere Veranstaltungen des Hofguts etc.
7. In die große Scheune passen nach seinen Angaben maximal 250 Besucher – in die Kulturscheune maximal 90 – bei vielen Veranstaltungen seien es aber wesentlich weniger.
Mag sein, nur finden viele große Veranstaltungen mit mehreren tausend Besuchern nicht allein in den Scheunen statt, sondern auch auf den Flächen drum herum. In jedem Fall sind es aktuell wesentlich mehr Besucher als 2012 der Wohnbevölkerung vermittelt wurde.
Aufstellungsversammlung Dorfgemeinschaftsliste
Hinweis zum Erklärungsversuch des Ortsvorstehers zur Notwendigkeit einer 2. Versammlung zur Aufstellung der Dorfgemeinschaftsliste: Dies soll lt. Reckling der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass die Stadtteilinitiative das Abstimmungsverhalten einer Teilnehmerin öffentlich beschrieben hatte.
Hier vertauscht OV Reckling Ursache und Wirkung: Die Tatsache, dass nicht in geheimer Abstimmung bei der 1. Versammlung gewählt wurde – wie vom Wahlrecht vorgeschrieben –, führte überhaupt erst dazu, dass ein Abstimmungsverhalten öffentlich kommuniziert werden konnte. Allein dieser formale Fehler ergab den eigentlichen Anlass für die zu wiederholende Versammlung bzw. die 2. Abstimmung. Ferner war es unzulässig, dass die erste Einladung durch Herrn Reckling mit Betonung/Erwähnung auf seine Funktion als OV erfolgte, da es sich um eine ganz normale „Wählerliste“ handelt.
Stadt im Gespräch: Vorortdialog/Livestream 30.09.2020 mit Oberbürgermeister Dr. Spies Elnhausen/Dagobertshausen
– Hohe Erwartungen, große Enttäuschung!
Diese vielsagende und zugleich auch nichtssagende Video-Aufzeichnung des Vorortdialogs vom 30.09.2020 in Elnhausen stellt die Stadt Marburg zur Verfügung.
Interessant für Dagobertshausen ab 1. 44 (Minuten)
Neben Zugangsproblemen in den Livestream zeichnete sich der Vorortdialog durch ausufernde Monologe, Abschweifungen und Detailberichte ohne Bezug auf konkrete Fragen aus. Die von der Stadtteilinitiative vorab eingereichten Fragen wurden nicht aufgerufen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass diese Fragen unerwünscht waren, auch wenn sich deren Behandlung wegen der Beharrlichkeit ihrer Verfasser*innen letztlich nicht mehr verhindern ließ.
Oberbürgermeister Dr. Spies zeigte zwar ein Problembewusstsein zu den Nutzungskonflikten zwischen Leben/Wohnen und Freizeitgewerbebetriebe, schien jedoch teilweise eine unzureichende Sachkenntnis zu besitzen Dieses zeigte sich beispielsweise in fragmentarischen Beschreibungen oder verniedlichenden Äußerungen. Dass der Ortsvorsteher Peter Reckling weder präzisiert noch korrigiert hat, bleibt völlig unverständlich.
Es war nicht erkennbar, dass eine proaktive, planvolle und ausgewogene Stadtteilentwicklung in Verantwortung des Magistrats ansteuert wird. Die bisherige investorenfreundliche Entwicklung in Dagobertshausen wird seitens Stadtverwaltung und maßgeblicher Politik immer noch bedenken- und planlos fortgesetzt bzw. aktiv befördert.
Offizielle Berichterstattung der Stadt zum Vorortdialog Elnhausen/Dagobertshausen
Vorab eingereichte Fragen der Stadtteilinitiative an OB Dr. Spies
1. Die Argumentation unseres Anwalts aufgreifend fragen wir nach einem dringlich zu erstellendem Bebauungsplan für den Ortskern von Dagobertshausen, nachdem bislang in kleinen Tranchen massive Betriebserweiterungen und Funktionsänderungen der örtlichen Unternehmen der Freizeitindustrie beantragt (über 30 Bauanträge in den letzten 8 Jahren) und auch genehmigt worden sind. Will der Magistrat immer weiter zulassen, dass der Ortsteil Dagobertshausen gleichsam „scheibchenweise“ zu einem (zusammenhängenden) Eventzentrum umgestaltet wird oder will er künftig seiner Verantwortung zu einer aktiven ausgewogenen Stadtteilentwicklung (Balance zwischen Leben/Wohnen und Freizeitgewerbe) nachkommen?
2. Entspricht die sukzessiv zugelassene Umstrukturierung des Ortsteils Dagobertshausen zu einem Event- und Freizeitzentrum den Zielen der Raumordnung, da im Regionalplan Mittelhessen für den Bereich Dagobertshausen ausschließlich Vorranggebiete für Landwirtschaft und Forstwirtschaft sowie im Bestand ein Vorranggebiet Siedlung festgeschrieben sind (Gewerbe- und Freizeitgebiete sind hier nicht ansatzweise vorgesehen)
3. Aktuell bekannt geworden ist der Entwurf eines Grundsatzpapiers für die Regionalversammlung zur Änderung des RPM 2010 (s. nachfolgenden Bericht dazu). Darin sind Gebiete (u.a.) für Dagobertshausen ausgewiesen, für die sich die Stadt Marburg eine „Zurückstellung der Belange Landwirtschaft, Klima. Regionaler Grünzug (zum Zwecke der) … Eigenentwicklung von Siedlung und Gewerbe“ wünscht. Das betrifft größere Flächen rund um den Hofgutkomplex, parallel zum Unteren Schlehdornweg bzw. Flachpfuhl und das Gebiet Weidenbrunkel. Was bezweckt der Magistrat konkret für Dagobertshausen mit dieser Änderung?
4. Im Zusammenhang mit der neuen Stallanlage auf der Reitsportanlage in Richtung Elnhausen stellt sich die Frage nach dem Erfordernis eines Zielerweiterungs- bzw. -abweichungsverfahrens mit dem Regierungspräsidium. Der RP hatte nach unserer Kenntnis zuvor ein solches Verfahren in diesem Zusammenhang gefordert.
Im Entwurf eines Grundsatzpapiers für die Regionalversammlung werden Gebiete (u.a.) für Dagobertshausen ausgewiesen, für die sich die Stadt Marburg eine „Zurückstellung der Belange Landwirtschaft, Klima. Regionaler Grünzug (zum Zwecke der) … Eigenentwicklung von Siedlung und Gewerbe“ wünscht. Zu beachten sind die lila Umrandungen rund um den Hofgutkomplex, parallel zum Unteren Schlehdornweg bzw. Flachpfuhl und für das Gebiet Weidenbrunkel. Was das bedeutet wird im Grundsatzpapier im Anhang zu Ziffer 8 wörtlich ausgeführt:
„Um den Kommunen eine Eigenentwicklung zu ermöglichen, aber auch um kleinflä-
chige Entwicklungsmöglichkeiten am zentralen Ortsteil zu eröffnen, die keine Fest-
legung als Vorranggebiet Siedlung Planung rechtfertigen, werden an geeigneten
Ortsrändern die Vorränge für Landwirtschaft, Klima und / oder Regionaler Grünzug
zurückgestellt. Im Gegensatz zum RPM (Regionalplan Mittelhessen) 2010 soll auch in
Ortsteilen, in denen VRG (Vorranggebiete)
Siedlung Planung festgelegt sind, zukünftig eine kleinflächige Entwicklung in Vorbe-
haltsgebieten für Landwirtschaft ermöglicht werden, um insbesondere die Zentralen
Ortsteile zu stärken.
Die Zurückstellung der Belange von Landwirtschaft und Regionalem Grünzug ent-
sprechend RPM 2010 entfällt dabei zunächst vollständig. Unter Berücksichtigung der
Flächennutzungspläne und der Ergebnisse der Gemeindebefragung werden diese
Flächen neu abgegrenzt. Dabei fließen die oben genannten Restriktionskriterien ein.
Im Luftbild offensichtliche, umfangreiche Flächenreserven im Bestand führen zu einer
restriktiveren Zurückstellung der Belange von Landwirtschaft, Klima und Regionalem
Grünzug.“
Auszug: "Alle 8 Jahre wird der Regionalplan neu aufgelegt, so sieht es das Raumordnungsgesetz vor. Hierzu unterbreiten die Kommunen zunächst Vorschläge, wo sie gerne – ggf. neue – Vorranggebiete für Siedlung, Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft, Regionale Grünzüge, wo Vorbehaltsgebiete für besondere Klimafunktion, vorbeugenden Hochwasserschutz, Grundwasserschutz, oberflächennahe Lagerstätten, wo Logistikzentren, Verkehrswege, Haltepunkte, Anschlussstellen usw. hätten. Sodann arbeitet die Regionalplanungsabteilung am Regierungspräsidium einen ersten, zweiten und ggf. dritten Entwurf aus, welcher der Öffentlichkeit und den Trägern öffentlicher Belange zur Stellungnahme offengelegt werden. Schließlich beschließt die Regionalversammlung die endgültige Fassung, welche nach Genehmigung durch das Wirtschafts- und Verkehrsministerium öffentlich bekanntgemacht wird und damit in Kraft tritt." (...)
"Der Magistrat begehrt eine Verkleinerung der Siedlungserweiterungsflächen im Osten und eine Vergrößerung im Westen. Um dem Regierungspräsidium künftig die Mitsprache hierbei zu entziehen verlangt er die Aufhebung der Vorranggebiete Landwirtschaft und regionaler Grünzug um die westlichen Außenstadtteile."
Das ist gleichsam die Vorbereitung zum Negativ-Szenario, das im u.a. Sachbuch auf S. 105 f. beschrieben wird. https://www.buechner-verlag.de/buch/dagobertshausen/
Neu erschienenes Sachbuch Dagobertshausen – Ausverkauf eines Dorfes?
UTE GÖBEL-LEHNERT, THOMAS RAUTENBERG
© Büchner-Verlag, Marburg, erschienen am 22. Juli 2020
Bestellbar u.a. über Büchner Verlag und/oder in Marburger Buchhandlungen erhältlich
https://www.buechner-verlag.de/buch/dagobertshausen/
Dagobertshausen – ein Ortsteil im Westen von Marburg – droht erstickt zu werden: erdrückt von den Zumutungen der ortsansässigen Freizeitindustrie, einer beispiellosen Expansion von großformatigen Unterhaltungsbetrieben und von dem Geschäft der vorhandenen Locations, die jährlich viel Lärm und Verkehr sowie Besuchermassen in den kleinen Ort schwemmen.
Ute Göbel-Lehnert und Thomas Rautenberg, die beide seit Jahrzehnten in Dagobertshausen leben, veranschaulichen, wie der Ort von einer einzelnen Investorenfamilie in knapp zehn Jahren zu einem Freizeitpark verwandelt wurde, ohne Rücksicht auf die Bewohner_innen und mit willfähriger Unterstützung durch Politik, Verwaltung und den Ortsbeirat. Analysiert wird der Strukturwandel, aber auch der gewachsene Widerstand, der sich dagegen formiert und der die Gefahren einer weiteren Zerstörung der Wohn- und Lebensqualität des Ortes benennt.
Das regionale Beispiel ›Disneyland Dagobertshausen‹ wird in überörtliche Trends moderner Freizeit- und Tourismusindustrie eingeordnet, die sich mit den Begriffen Overtourism, Eventtourismus, Freizeitkollaps oder Business Travel überschreiben lassen. So will es weit über den Ort hinaus sensibilisieren, für gesamtgesellschaftliche Problemlagen und mögliche Strategien und Initiativen im Umgang damit.
Zitat: »Wir wollen uns nicht mehr zurückhalten, denn Zurückhaltung war hier viel zu lange angesagt. Sie hat unter anderem bewirkt, dass die Freizeitindustrie der örtlichen Gewerbebetriebe in Ruhe expandieren konnte – und den einst beschaulichen Ort explosionsartig zu einem Event-Zentrum veränderte.«
„Dagobertshausen Ausverkauf eines Dorfes?“ – Monopoly im Marburger Land in Zeiten des Finanzkapitalismus
Ute Göbel-Lehnert und Thomas Rautenberg über die Folgen von »Overtourism« in einem Marburger Stadtteil und dörfliche Idylle-Vorstellungen als Kulisse für Investoreninteressen
Von Sigrun Matthiesen
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1140894.wie-dagobertshausen-zum-freizeitpark-wurde.html
Eine weitere aktuelle Besprechung zum Buch finden Sie unter dem Link:
Ein spannender Dreh in der Reihe Bulli-Talk des Büchner Verlages mit Ute Göbel Lehnert und Thomas Rautenberg zu ihrem Buch Dagobertshausen – Ausverkauf eines Dorfes?
https://www.youtube.com/watch?v=3a2FOoaAxSg